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Naturformen, Kunstformen
und filmische Experimente

Freitag, 5. Juni 2009 um 19 Uhr:

Naturformen, Kunstformen und filmische Experimente

Programm mit Kurzfilmen von den 1910er Jahren bis in die Gegenwart Filmprogramm im Rahmen der Ausstellung „Pflanzenstudien von Karl Blossfeldt und verwandte Positionen“ der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur

Das Ausstellungsthema der Natur- und Pflanzenstudien wird vor dem Hintergrund der Reflexion von Form und Struktur am Beispiel des Mediums Film weitergeführt: Gezeigt werden unter anderem frühe Belege des filmischen Interesses an Natur wie Pflanzen- und Tierstudien von Charles Urban, Martin Duncan oder Percy Smith, die Stilmittel wie den Zeitraffer bereits innovativ einsetzten. Techniken, die sich auch der Photograph und Filmemacher Alfred Ehrhardt auf der Suche nach den Kunstformen der Natur und den „Urformen der Kunst“ in einigen seiner Filme zu Eigen machte. Mit ungewöhnlichen Ausschnitten aus der direkt beobachteten Natur arbeitet der Künstler Kurt Kren, die in schneller Folge montiert, Erscheinungsformen der Natur zu graphisch-abstrakten Mustern werden lassen. Eine zeitgenössische künstlerische Auseinandersetzung mit der Betrachtung von Natur zeigt beispielsweise Cyrill Lachauers „I Killed the Butterflies“.

The Birth of a Flower von Percy Smith
UK 1910, 7 min, 35 mm, koloriert, ohne Ton

Der innovative Filmemacher Percy Smith verwirklichte in dieser frühen Naturstudie das bewegte Bild von aufgehenden Pflanzenblüten auf der Leinwand –  für das damalige Publikum eine Sensation! Mit einer eigens dafür errichteten Apparatur filmte er das Aufblühen von Rosen, Tulpen, Anemonen oder Lilien über einen langen Zeitraum und schaffte es dann diesen Prozess für den Betrachter sichtbar zu machen: The Birth of a Flower  ist eines der frühsten Beispiele für das filmische Mittel des Zeitraffers und erinnert auf besondere Art fast schon an einen Animationsfilm.

The Acrobatic Fly  von Percy Smith
UK 1910, 3 min, 35 mm, Schwarz-Weiss, ohne Ton

Dieser sehr frühe Kurzfilm zeigt, ähnlich wie der nachfolgende Cheese Mites, den Experimentierdrang der Filmemacher zur Entstehungszeit des Films auf besonders witzige Weise. In Großaufnahme wird dem Zuschauer in The Acrobatic Fly eine auf dem Rücken fixierte Fliege präsentiert: Auf kleine Gegenstände reagiert die Fliege ihren Instinkten folgend…und sieht dabei aus als würde sie mit ihnen wie ein Zirkusartist jonglieren. Für das Publikum in den 1910er Jahren war dieser Film eine absolute Attraktion und gerade diese Art des Naturfilms wurde zur Unterhaltung sehr beliebt.

Cheese Mites von F. Martin Duncan
UK 1903, 1 min, 35 mm, Schwarz-Weiss, ohne Ton

Francis Martin Duncan war ein bekannter Amateur-Naturwissenschaftler, der sich auf Mikrophotographie spezialisiert hatte. Im Rahmen der für ihre Kuriositäten berühmten Filmreihe The Unseen World in der Alhambra Music Hall in London präsentierte Duncan zusammen mit dem Produzenten Charles Urban Cheese Mites – die älteste wissenschaftlich-dokumentarische Naturfilmstudie der Filmgeschichte. Die durchs Mikroskop gefilmten Milben erschienen auf großer Leinwand wie Monster und der Film rief beim zeitgenössischen Publikum aufgrund des neuen Seherlebnisses eine hohe Faszination hervor. Er ist einer der wenigen Kurzfilme der Unseen World-Reihe, die heute noch erhalten sind.

Karlszepter am Federsee von Herrmann Hähnle
D um 1920, 50 sek, 35 mm, Schwarz-Weiß, ohne Ton

Der württembergische Naturschützer und Filmpionier Herrmann Hähnle aus Giengen an der Brenz zeigt in seiner fragmentarisch-kurzen Filmstudie das Karlszepter, eine hochgewachsene Blume aus heimischer Umgebung und recht pathetisch auch Moorkönig genannt, am oberschwäbischen Federsee. In einer gleich bleibenden Einstellung beobachtet der Filmstreifen eine Hummel an der senkrecht gewachsenen Pflanze vor neutralem Hintergrund und überführt die heimische Pflanze in einen künstlerischen Zusammenhang. Gleichzeitig vermittelt der Film durch seine Kürze und die rudimentäre Machart den unmittelbaren Zugang zu einem Stück Natur…

Wasser und Wogen. Ein Querschnittsfilm von Albrecht Viktor Blum
D 1929, 11 min, 35 mm, Schwarz-Weiß, ohne Ton

Der kurz nach der Entstehung mit „Kreislauf des Wassers“ betitelte Film widmet sich auf zu dieser Zeit ungewöhnliche Weise den verschiedenen Eigenschaften und Facetten des Elements Wasser: vom physikalischen Verdunstungskreislauf über die Nutzbarmachung durch den Menschen oder die Gefahren, die Wasser bedeuten kann bis hin zur Lebensspendenden und -rettenden Komponente ….

Der Österreicher A.V. Blum verstand sich als Bildschneider, der mit Hilfe des filmischen Mittels der Montage bereits vorhandenes dokumentarisches Material zu neuen Sinnzusammenhängen organisierte. Blum leistete mit diesem Meisterwerk der Montage einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Kompilationsfilms und einen nicht nur für das Publikum der späten 1920er Jahre äußerst spannend komponierten Überblick zum Thema Wasser.

Seahorses von Jean Painlevé
F 1933, 13 min, 35 mm, Schwarz-Weiß, Ton

Mit Seahorses zeigen wir einen Film aus den 1930er Jahren, der nicht nur vom Wasser handelt, sondern sogar unter Wasser spielt: Der französische Filmemacher Jean Painlevé schuf mit seinem berühmten Seepferdchen-Film einen der ersten Unterwasserfilme der Filmgeschichte. Painlevé steht mit seiner selbst konstruierten Unterwasserkamera und seiner anfangs rudimentären Tauchausrüstung, mit der er Unterwasseraufnahmen im Meer und Großaquarien machte, für Innovation und Experimentiergeist. Genauso experimentell sind auch seine Filme: Der Filmemacher zeigt nicht nur dokumentarisch Fortpflanzung und Lebensraum der Seepferdchen, sondern erzählt gleichzeitig äußerst publikumswirksam die Geschichte vom Leben der Unterwassertierchen…

Korallen-Skulpturen der Meere von Alfred Ehrhardt
D 1964, 12 min, 35 mm, Schwarz-Weiß, Ton

Der Photograph und Filmemacher Alfred Ehrhardt holt mit Korallen-Skulpturen der Meere die „Unterwasser-Bäume“ aus ihrem natürlichen Lebensraum heraus und präsentiert sie uns –anders als Painlevé – vor neutralem Hintergrund.

Die Natur beachtet neben aller Natürlichkeit auch streng technische, man könnte meinen, künstliche Gesetze beim Schaffen ihrer Formen; die Fülle der Naturformen entspringt nicht dem Chaos. Auf der Suche nach den Urformen der Natur zeigt uns Alfred Ehrhardt Korallen, die mit Hilfe formaler Mittel wie zum Beispiel der Lichtsetzung, zu regelrechten Architekturen erwachsen oder eine skulpturale Wirkung entfalten.

3/60 Bäume im Herbst von Kurt Kren
A 1960, 5 min, 16 mm, Schwarz-Weiß, ins Zelluloid geritzter Ton

Der Titel des Films lässt eine Studie über Bäume zu einer bestimmten Jahreszeit vermuten, aber Bäume sind kaum mehr zu identifizieren… Der Baum, der eigentlich als etwas sehr positives, gar als Metapher für das Leben betrachtet wird, wird hier zum eher unschönen, undurchdringlichen Dickicht aus Linien und abstrakten Strukturen. Der Kratzton, den Kren ins Zelluloid geritzt hat, wirkt hierzu fast bedrohlich – in all seiner Künstlichkeit erinnert er an grollenden Wind und drohenden Donner.

Lemon von Hollis Frampton
USA 1969, 7,5 min, 16 mm, Farbe, ohne Ton

Lemon zeigt wie sich eine einfache Zitrone nur durch den Einsatz von Licht in ihrer Form und Wirkung verändert… Das gleiche Licht, das der Zitrone ihre vollrunde, üppige Form erst gegeben hat, verschlingt diese im Laufe des Films auch wieder. Der Film, der über sieben Minuten einfach nur diese eine Zitrone zeigt, lebt von den haptischen und sinnlichen Strukturen dieser sowie von ihrer vereinnahmenden Farbigkeit, die die Veränderung des Lichtes zu Tage fördert. Die Wirkung auf den Betrachter oszilliert zwischen skulpturaler Räumlichkeit und grafischer Zweidimensionalität.

Waterland von Matt Lipsey & David Bickley
UK 1988, 6 min, Video, Farbe, Ton

Waterland erweitert das Thema der Naturformen und Kunstformen hinein in die Weite einer Landschaft. Gleichzeitig und dazu gegensätzlich konzentriert sich der Film mit seinen Bildern auf Mirkostrukturen der Natur, wie z.B. die Maserung einer Baumrinde in Bildrahmenfüllenden Zooms. Der sich häufig überblendende Zusammenschnitt aus Nähe und Ferne ergibt zusammen mit der Tonspur ein meditatives und leicht entrücktes Portrait der gefilmten Salzsumpf-Landschaft und ihrer Atmosphäre.

I killed the Butterflies von Cyrill Lachauer
D 2007, 5 min, Beta, Farbe, Ton

Cyrill Lachauer befreit in einer mythisch-rituellen Wanderung in den bayerischen Alpen die von ihm als Kind gefangenen und getöteten Schmetterlinge, die er nach Form und Größe sortiert gesammelt hatte. Der Film, der beispielsweise das Publikum der 54. Oberhausener Kurzfilmtage begeisterte, zeigt einen filmisch narrativen Umgang mit dem Thema Natur… Diese ganz andere Herangehensweise an die Natur macht unter anderem das Spannende dieser Arbeit aus.

The Kiss von Ian Bourn & John Smith
UK 1999, 5 min, Video, Farbe, Ton

Als Gegenpol zu The Birth of a Flower, der das Programm mit seinen aufblühenden Pflanzen eröffnete, schließt The Kiss mit dem fünfminütigen, im Treibhaus forcierten Verwelken einer Lilie in extremer Nahaufnahme. Während Percy Smith zu Beginn des Jahrhunderts filmische Mittel dazu benutzte, dem Betrachter das Aufblühen verschiedener Blumen erfahrbar zu machen, zeigen Bourn und Smith zum Ende des Jahrhunderts das Verblühen ohne filmische Manipulation… 

Vor unseren Augen entwickelt eine Lilie als Protagonistin ihr Eigenleben; auf der Tonspur vernehmen wir ein schweres Atmen, das der Lilie eine fast menschliche Präsenz verleiht. Gerade auch durch das überraschende Ende des Films fragt sich der Betrachter: was ist künstlich und was natürlich… wie viel Künstlichkeit ist in der Natur?



Informationen


Ort: Filmforum NRW im Museum Ludwig, Bischofsgartenstr. 1, 50667 Köln
Zeit: 19 - 21 Uhr
Organisation und Filmauswahl: Birgit Hauska, Claudia Schubert und Nina Waibel
E-Mail: hauska@sk-kultur.de.

Eintritt: 5 €, ermäßigt 3,50 €